Hier findet ihr einen Auszug "unserer" Geschichte aus dem Buch
"STERNSCHNUPPEN GEHEN IHREN WEG"
(Niedergeschrieben im Jahr 2011/2012 - also bevor Niklas großer Bruder wurde)
Never mind, I`ll find someone like you.I wish nothing but the best for you.
(Adele Someone Like You)
"STERNSCHNUPPEN GEHEN IHREN WEG"
(Niedergeschrieben im Jahr 2011/2012 - also bevor Niklas großer Bruder wurde)
DIE NIKLAS-MAMA erzählt:
Wenn man mich nach der Diagnose von Niklas
fragt, nenne ich etliche medizinische Fachausdrücke wie Infantile
Cerebralparese, Opticusatrophie beidseits, Hüftdysplasie, Facialisparese,
Hämophilie B, symtomatisch fokale Epilepsie.....
Ich verwende diese Wörter ohne nachdenken zu müssen und vor allem ohne
jegliche Emotion.
Niklas ist mittlerweile fast fünf Jahre alt. Er ist unser einziges, schnell
erfülltes Wunschkind. Wenn ich so zurückdenke, ich hatte viele Vorstellungen
und Wünsche - Ängste waren kaum dabei. Was soll denn auch schon passieren?
Meine Schwangerschaft war wundervoll und auch die Geburt in der 41.
Schwangerschaftswoche war komplikationslos.
Er war ein hübscher Junge mit viel Babyspeck und vermeintlich völlig
gesund. Wäre da nicht der erhöhte Bilirubin-Wert gewesen wären wir auch sicher
schon aus dem Krankenhaus entlassen worden an dem Freitag an dem sich für uns
ganz plötzlich alles verändert hat.
Niklas war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal fünf Tage alt und an jenem
Morgen beim Baden auffällig ruhig, ja ganz still. Irgendwie hat es mich ein
wenig verunsichert und auch die Krankenschwester meinte, sie wolle sich darum
kümmern und einen Arzt rufen. Als man mich auf die Station rief, wurde meine
Unruhe konkret. Empfangen wurde ich von einem Oberarzt. „Bei ihrem Sohn ist
eine Gehirnblutung festgestellt worden – es besteht akute Lebensgefahr! Ein
Rettungshubschrauber ist schon unterwegs – der Transport ins nächste
Landeskrankenhaus ist dringendst erforderlich“.
Noch Jahre später kann ich mich an so viele Details erinnern:
Niklas, der vollgepumpt von Medikamenten vor uns liegt und ständig zuckt.
Der Überwachungsmonitor der eine Herzfrequenz anzeigt wie ein Zufallsgenerator.
Dieses unendlich lange Warten auf den Rettungshubschrauber. Nie werde ich vergessen
wie es war, gefühlte Ewigkeiten nutzlos vor unserem Sohn zu stehen und nichts
tun zu können, während lebenswichtige Zeit verstrich. Dieser Notarzt, der uns –
durch seine gelassene, beruhigende Art - in dieser so absurden Situation einen
Hauch von Sicherheit geben hat wird mir immer in Erinnerung bleiben.
Und nie werde ich das Ärztegespräch nach dieser Notoperation vergessen.
Niklas hatte eine massive Gehirnblutung. Es konnte die Blutung zwar gestoppt
werden, eine Ursache für dieses Geschehen wurde allerdings nicht gefunden.
Unser kleiner Mann hatte viel Glück und dennoch bestand weiterhin nur ein
Funken Hoffnung. Es wurde uns unmissverständlich gesagt, dass wir mit dem
Schlimmsten rechnen müssen. Das Gehirn wurde stark gequetscht und schwoll noch
weiter an.
Am nächsten Tag bat man uns ein Gespräch mit dem dortigen Krisenteam an.
Meine anfängliche Ablehnung legte sich schnell nachdem Michael, mein Mann,
einfach zu reden begann und ich merke: das tut auch mir gut. Während Michael
schon den Kampf aufnehmen wollte war ich noch immer wie hypnotisiert und konnte
nicht fassen was da gerade passiert. Die uns völlig fremden Seelsorger haben
mir damals wirklich geholfen. Das Sprechen über unsere Gefühle und Ängste – wir
hätten es alleine nicht so schnell gewagt. Und dennoch hat jeder von uns beiden
auf seine eigene Art gelitten. Dieses Gefühl kann man schwer beschreiben. Es
ist als ob man fällt, ewig lange, kein Boden in Sicht aber man erwartet jede
Sekunde den schmerzhaften Aufprall. Das Angebot einer Nottaufe lehnten wir ab,
das kam uns einem Aufgeben gleich.
Der Anblick von Niklas mit all den
Schläuchen und Kabeln, den Infusionen und Überwachungsgeräten schmerzte jeden
Tag. Aber langsam realisierten wir unsere Situation – dennoch fragten wir uns
immer wieder nach dem Warum. Nach dem Schock fing ich an zu überlegen. Wenn es
Niklas schaffen sollte: Schaffen wir das mit einem schwer behinderten Kind?
Einem Kind, dass vielleicht nie selbständig Atmen oder Essen kann? Wollen wir
ein behindertes Kind? Haben wir denn eine Wahl?
Bei den Besuchen (wir sind den ganzen Tag über auf der Intensivstation bei
Niklas gesessen) machte sich in mir ein ganz neues Gefühl breit: da liegt so
ein winziger Mensch, ein Junge den ich noch gar nicht richtig kennen gelernt
habe und dennoch: ich würde alles dafür geben ihn leben zu sehen. Woher nur
kommt diese uneingeschränkte Liebe, dieses starke Band? Wir haben am dritten
Tag nach der Blutung begonnen Niklas aus unseren alten Kindermärchenbüchern
vorzulesen. Abwechselnd. Stundenlang ganz leise sind wir neben seinem Bett
gesessen und haben uns mit der Gewissheit, etwas tun zu können, beruhigt.
Unsere Familien und enge Freunde gaben uns in dieser Zeit enormen Halt und
haben jeden Tag, ja jede Stunde mit uns gebangt und gebetet. Niklas hat es
gespürt. Ganz sicher. Am Donnerstag teilte uns der leitende Chirurg mit, dass
die Hirnschwellung überraschend zurückging und somit kein Shunt gelegt werden
muss. Drei Tage später, nachdem Niklas auf ein anderes Antiepileptikum
eingestellt wurde, konnte die Beatmung entfernt werden. Niklas hatte nach wie
vor eine Krampfbereitschaft. Dennoch waren wir zuversichtlich und ich dachte
ganz naiv: Jetzt wird alles wieder gut.
Es ist gut geworden – auf eine ganz besondere Art. Aber das habe ich erst
viel später verstanden. Niklas war noch lange im Krankenhaus. Er konnte anfangs
nicht einmal saugen. Es wurde der Verdacht bestätigt, dass Niklas eine
Blutgerinnungsstörung hat. Hämophilie B nennt sich diese Störung, sie ist auch
als Bluterkrankheit bekannt. Bei schwerer Hämophilie kann es zu
Spontanblutungen kommen. Einfach so oder auch ausgelöst durch die Geburt. Wir
werden nie wissen warum es zu dieser starken Gehirnblutung gekommen ist. Es
bringt uns auch nicht weiter zu grübeln ..... Ja, was wäre denn wenn? Vielleicht
wäre das alles nicht passiert, wenn wir von seiner Hämophilie gewusst hätten –
vielleicht wäre es ganz genauso gekommen. Nein, das Spiel spiele ich nicht mit.
Ich schaue nach vor. Für Niklas. Er hat in seinem kurzen Leben schon so viel
durchgemacht so sehr kämpfen müssen und er war immer der Gewinner. Niklas hat
für sich entschieden, dass es sich auszahlt zu kämpfen, zu leben.
Gleich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ging es für Niklas und mich
nach Vogtareuth zur Rehabiliation. Eine Klinik in Deutschland die ein
hervorragendes Rehabilitionsprogramm für Kinder mit neurologischen Störungen
bietet. Der erste Aufenthalt dauerte vier Wochen. Vier Wochen als
frischgebackene Mama mit einem Baby das knapp zwei Monate alt war, gute 500
Kilometer von zu Hause weg. Und Welten von all den Wünschen und Vorstellungen
entfernt, die ich hatte von unserem neuen Leben.
Vogtareuth war wie der Sprung ins tiefe, kalte Wasser. Dort gab es Kinder
mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma, Kinder im Wachkoma und schwerstbehinderte
Kinder die sich nicht äußern oder bewegen konnten. Noch immer war die
Vorstellung nicht greifbar für mich, dass Niklas auch so werden könnte. Dass er
immer auf Hilfe angewiesen sein wird. Der Umgang mit diesen Kindern war für
mich schwer zu ertragen in dieser ersten Zeit.
Auf meine Fragen, wie sich die Blutung auf die Entwicklung von Niklas
auswirken wird bekam ich kaum konkrete Antworten. Es hieß immer wieder man muss
abwarten. Die Zeit wird es zeigen. Selbst die Begriffe „deutliche motorische
und mentale Defizite“ ließen meiner Hoffnung eine Menge Spielraum. Umso mehr
schmerzte eine konkrete Aussage von einem Augenarzt der Niklas untersuchte.
Dieser nahm sich knapp fünf Minuten Zeit um mir zu erklären, dass unser Sohn
nahezu blind ist und lediglich Schatten erkennen werden wird. Heute wissen wir,
dass Niklas mehr sieht, als uns dieser Arzt prophezeite. Das Gespräch erschien
mir damals mehr als unmenschlich. Ich war am Boden zerstört, und werde meiner
Schwiegermutter nie vergessen, dass sie sich einfach ins Auto setzte und zu uns
kam um mir Stütze zu sein. Heute bin über jede Direktheit eines Arztes froh. Es
gibt zu viele Ärzte die um den heißen Brei reden. Mir ist es lieber eine
wahrscheinliche Prognose zu hören als dieses Ungewisse „es wird sich zeigen“.
Manchmal scheint es mir, die Ärzte haben eine Scheu vor solchen Gesprächen.
Medizinisch bestens ausgebildet scheitern sie scheinbar an der sozialen
Interaktion mit den Angehörigen. Es gibt zum Glück auch Ausnahmen.
Der Aufenthalt in der Klinik hat mich geprägt und der Austausch mit den
anderen Müttern hat mir geholfen. Auch wenn ich mich anfänglich innerlich
geweigert habe, unseren Sohn als Kind mit Behinderung zu sehen. Die meisten
Kinder waren dort schon älter. Ihre Behinderungen waren offensichtlicher zu
erkennen als bei Niklas – der wie jedes andere gesunde Baby viel geschlafen hat
und noch keine gezielten Bewegungen machte. Dennoch: die MRT Bilder sprachen
für sich. Ich bin mit der Erkenntnis heimgefahren, dass es hätte noch schlimmer
kommen können. Dankbar dafür, dass es so gut ausgegangen ist und voller
Hoffnung, dass es nur besser werden kann. Heute bin ich mir sicher, dass wir
ohne Vogtareuth wesentlich länger gebraucht hätten Niklas so anzunehmen wie er
ist.
Dieser Rehabilitation folgten weitere. Wir fahren regelmäßig auf
Intensivtherapie. Mittlerweile innerhalb Österreichs, was für uns wesentlich
leichter zu organisieren ist. Ein Teil meines Urlaubes wird unweigerlich
solchen Aufenthalten geopfert, da der gesetzliche Anspruch auf Pflegeurlaub für
Eltern mit beeinträchtigten Kindern nicht höher ist, als auch sonst üblich. Ja,
dank unserer engagierten Mütter bin ich in der glücklichen Lage, 16 Stunden die
Woche arbeiten zu können während Niklas schöne Zeit bei seinen Großeltern
verbringen darf. Mein Mann hat vor einiger Zeit seinen Job gewechselt und ist
seit dem auch wesentlich flexibler. Somit teilen wir uns Krankhausaufenthalte
und Reha-Termine gut auf. Schwierig wird
es bei der Finanzierung. So ein Aufenthalt kostet eine Menge Geld und wird
nicht immer von der Krankenkasse finanziert. Zum Glück gibt es noch
Landesförderungen über den Sozialhilfefond. Sozialhilfe - wie sich das
anhört.... Diese Anträge und Ansuchen drängen mich gefühlsmäßig immer wieder in
eine Bittstellerposition. Aber mit eigenen Mitteln wären solche regelmäßigen
Aufenthalte unmöglich zu finanzieren.
Warum also aus falschem Stolz Niklas solche Chancen verwehren?
Solche (Re)Habilitationsaufenthalte bringen viel. Niklas lernt immer wieder
neue Dinge, entwickelt sich langsam, aber doch weiter. Wir sind mächtig stolz
auf ihn. Er ist neugierig auf das Leben und nimmt enorme Anstrengungen auf
sich, um Neues zu lernen. Schwer behindert wird er dennoch immer bleiben. Eine
Definition die alles sagt – aber auch nichts! Mir fällt die Prognose „deutliche
motorische und mentale Defizite“ wieder ein. Ist das schwer Behindert? Bei
Aufnahmegesprächen in Krankenhäusern wird mir immer bewusst gemacht, wie viel
Niklas nicht kann. Es wird nach den Meilensteinen der Entwicklung gefragt. Kann
er alleine Sitzen? Gehen? Stehen? Sprechen? Ist er ohne Windel? Nein, das alles
nicht. Für uns sind seine Einschränkungen Alltag. Völlig normal – zumindest
heute.
Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um nicht immer diese Meilensteine vor
Augen zu haben. Erst als ich mir eingestehen konnte, dass die Entwicklung von
Niklas anders verlaufen wird, schmerzte es nicht mehr so sehr, gleichaltrige
Kinder zu beobachten. Merkwürdiger Weise war meine Nichte Katharina da immer
eine Ausnahme. Ihre Fortschritte konnte ich immer schon annehmen ohne traurig
zu sein. Wahrscheinlich deshalb, weil ich dankbar dafür bin, sehen zu können,
wie selbstverständlich sich meine Nichte entwickelt. Wie unbeschwert sie Kind
sein kann ohne ständige Therapien und Krankenhausaufenthalte. Abgesehen davon
tat vergleichen aber weh und es machte unglücklich. Das habe ich recht rasch
eingesehen. Vielleicht war es für mich letztendlich einfacher, unseren Sohn zu
akzeptieren wie er ist, weil schnell feststand, dass Niklas sich nicht nur am
Rande der Normalität bewegt sondern offensichtlich nie die Norm erreichen wird.
Ich habe gelernt, immer einen Schritt nach dem anderen zu denken. Ihn genug zu
fördern und fordern ohne Unmögliches zu erwarten. Dass ich neben der Mama auch
ein klein wenig die Therapeutin von Niklas geworden bin, hätte sich beim Besten
Willen nicht vermeiden lassen können. Mittlerweile habe ich hierfür aber eine
gute Balance für mich gefunden. Gelernt haben wir durch unseren Sohn enorm
viel. Nie hätte ich mir träumen lassen, was wir alles meistern können. Ich,
gemeinsam mit meinem Mann, dem besten Papa, den Niklas sich wünschen kann.
Unterstützt von wahnsinnig tollen Eltern, die sich unglaubliches zutrauen. Und
Schwestern, die immer ein offenes Ohr für uns haben. Ja, zu Hause ist unsere
Welt in Ordnung.
Schwer gestaltet es sich für mich dann, wenn wir versuchen, uns in die
„normale“ Gesellschaft zu integrieren oder an gewöhnlichen Freizeitaktivitäten
teilnehmen wollen. Wenn wir auf ein Familienfest gehen, bei dem für die Kleinen
ein Spieleparcour aufgebaut ist, den Niklas nie bewältigen kann. Oder im
Vergnügungspark daran scheitern, dass bei fast allen Attraktionen nur Kinder,
die selbstständig Sitzen, mitfahren können. Ganz abgesehen von vielen Gebäuden,
die noch nicht barrierefrei und somit für uns nicht gut zugänglich sind.
Möglicherweise scheint es anderen, dass wir uns abkapseln. Dies passiert nicht
bewusst, es ergibt sich einfach. Die Zeit in einer Therme ist für uns
wertvoller als die Zeit auf einem belebten Kinderspielplatz wo es oft nicht
einmal eine entsprechende Schaukel für Niklas gibt.
Viele Aktivitäten sind schlichtweg umständlich und mühsam für uns und auch
für Niklas. Für ihn ist es einfach langweilig und anstrengend, wenn er lange im
Buggy sitzen muss und sich nicht am Boden bewegen darf. Rollen, drehen und
robben sind für unseren Sohn die einzig mögliche Bewegungsform. Kein gesundes
fünfjähriges Kind wäre zufrieden, wenn es lange auf einem Platz sitzen müsste,
unser Sohn hat leider oft keine andere Wahl. Ja, es scheint, wir leben in einer
anderen Welt mit unserem Kind, das eine Behinderung hat.
Umso schöner ist es, wenn wir Niklas im Kindergarten als einen Teil der
Gruppe erleben. Es ist wunderbar zu sehen wie offen und unbefangen die Kinder
mit dem Anders-sein von Niklas umgehen. Er ist wie selbstverständlich bei
Wandertagen oder beim Sommerfest dabei. Er gehört dazu. Macht mit, auf seine
Weise. Die Integration im Kindergarten lief von Anfang an tadellos und Niklas
hätte keine bessere Stützkraft bekommen können. Er hat unglaublich viel Freude
im Kindergarten. Und mir tut dieses Fünkchen Normalität richtig gut. Denn so
ganz unterdrücken kann ich diesen inneren Wunsch nach Zugehörigkeit dann doch
nicht.
Eins noch, möchte ich loswerden.
Manchmal höre ich gut gemeinte Zusprüche wie: „Niklas hat sich die
besten Eltern für sich ausgesucht“ oder „Gerade von ihm kommt sicher so viel
mehr Liebe zurück“. Ich komme mit solchen Aussagen nicht gut klar. Vielleicht
bin ich ein zu rationaler Mensch. Aber ich bin mir sicher, hätte es sich Niklas
aussuchen können, wäre er gesund. Und wäre er gesund, könnte er Emotionen viel
differenzierter zum Ausdruck bringen. Leben passiert einfach und manchmal ist
es nicht fair. Es hat vielleicht wirklich so sein sollen. Aber wir sind keine
Helden. Wir versuchen unser Bestes zu geben. Jeden Tag. Es gibt Tage, die sind
zum verzweifeln, doch die guten überwiegen zum Glück bei Weitem. Leicht ist es
dennoch nicht. Niklas wird immer auf Hilfe angewiesen sein. Ob wir eine
geeignete Schule finden werden? Oder wer für Niklas sorgen wird, wenn wir das
nicht mehr können... Über all das wage ich noch nicht genau nachzudenken. Die
Zeit wird es zeigen. Erstaunlicherweise, und auf die Gefahr hin, dass dies
jetzt auf ein Klischee hinausläuft, reicht wirklich ein unwiderstehlicher
Grinser von meinem Lauser aus, und das Alles ist es wert. Tausendmal.
UND JETZT AUS DER SICHT VOM NIKLAS-PAPA
Das Jahr 2007 hat für die Band Sunrise Avenue mit einem absoluten
Superhit begonnen. „Fairytale gone bad”. Ich hab das Lied so wie viele andere
gehört, und unter der Kategorie: Nicht schlecht, aber nicht meins abgelegt.
Für uns war alles in Bester Ordnung. Anfang Februar sollte unser
Sohn zur Welt kommen. Unser Wunschkind, das nach einer komplikationslosen
Schwangerschaft mit einer Woche Verspätung zur Welt kam. Alles wie gewünscht.
Ein Junge, rund und gesund. Besser kann es gar nicht laufen. Ein Gefühl, das
einem nichts passieren kann, dass nichts, aber auch überhaupt nichts schief
gehen kann. Spätestens ab jetzt hätte ich stutzig werden müssen. Ich bin
Pessimist. Nicht die Art Mensch, die eine Lebenskrise bekommt, wenn in einer
Zeitung irgendeine Horrormeldung steht, aber immerhin so einer, der zum eigenen
Schutz grundsätzlich vom schlimmeren Fall ausgeht.
Niklas hatte in einem seiner Augen eine kleine Blutung, und
während des routinemäßigen Hüftultraschalls in den ersten Tagen sprach ich den
dortigen Kinderarzt darauf an. Er meinte, dass so etwas immer wieder vorkommt,
und zwar durch den Druck der bei einer Geburt entsteht. So weit, so gut. Wer
widerspricht einem Arzt. Ich nicht, ich vertraue darauf das er das richtige
tut.
Die ersten Tage im Krankenhaus waren die schönsten Tage meines
Lebens. Ich habe eigentlich fast immer Niklas in den Händen gehalten. Er hat an
meiner Brust geschlafen, und meinen Herzschlag wahrgenommen. Er hat zwar fast
nur geschlafen, aber er war das süßeste Baby überhaupt. Kein Gedanke daran,
dass auch nur irgendwas nicht normal verlaufen könnte. Beim üblichen
Fingerstich ist aufgefallen, das Niklas einen erhöhten Bilirubin-Wert hat, er
also eine nicht ungewöhnliche Neugeborenen-Gelbsucht hat. Es war zwar noch
nicht die Rede davon, das wir an diesem Tag entlassen worden wären, aber es hat
diesen Tag schon mal nach hinten verschoben.
In dem dortigen Krankenhaus gibt es zwar eine Geburten- aber keine
Kinderstation. Deshalb wurde Niklas mit meiner Frau Tanja in das nächstgelegene
Spital mit Kinderstation verlegt. Niklas bekam ein Bett in der
Frühchen-Station. Mit seinen fast 4 Kilo war er der Riese der Station, was uns
zu diesem Zeitpunkt noch ein Grinsen ins Gesicht getrieben hat. Gelbsucht ist
ja nicht wirklich gefährlich. Er bekommt seine Therapie und nach ein paar Tagen
geht’s nach Hause. Hatte ich schon erwähnt das ich Pessimist bin? Noch immer
kein Gefühl von Unsicherheit. Nicht mal ansatzweise - ich war immer noch nicht
misstrauisch.
Freitag der 16 Februar. Bevor ich zu meinen zwei´n ins
Krankenhause fahre, habe ich noch einige Erledigungen zu machen. Ich begegne
einem Freund, den ich jahrelang nicht gesehen habe. Voller Stolz zeige ich das
Foto von Niklas her, und muss mir blöde Meldungen wie: „Mein Gott es vermehrt
sich“ anhören. Aber alles nur Scherze die wir uns schon immer an den Kopf
geschmissen haben. Wir machen uns noch aus, das wir uns am Abend auf ein paar
Bier treffen, um Niklas Geburt zu feiern. Bis jetzt war noch keine Zeit. Das
Handy läutet, ich verabschiede mich von ihm, und nach dem abheben war nichts
mehr so wie es mal sein sollte.
This is the end, you know,
Lady, the plans we had went all wrong
We ain't nothing but fight and shout and tears
Lady, the plans we had went all wrong
We ain't nothing but fight and shout and tears
Niklas hat eine Gehirnblutung!
Ein einfacher Satz, dessen Folgen nicht abzuschätzen sind. Während ich
unterwegs zum Krankenhaus bin, verständige ich noch unsere Familien von dem
Vorfall, und das wir uns melden, wenn wir mehr wissen. Da liegt er, ruhig durch
die Medikamente, und doch zuckt er immer wieder. Ewiges warten auf den Helikopter,
und als er endlich da war und Niklas abtransportiert wurde, hatte ich das
eisige Gefühl im Magen, das ich den kleinen Kerl, den ich erst in mein Herz
geschlossen hatte nie wieder sehen werde. Wie recht ich damit hatte wurde mir
erst später bewusst. Mein Niklas, der am 11 Februar auf die Welt gekommen ist,
ist an diesem Freitag gestorben. So wie er jetzt ist, wurde er erst ab diesem
Tag.
Die Kirche redet immer von der
Hölle, und welche Qualen die Seelen dort erleiden. Meine Hölle lag ganz wo anders.
Es ist ein kleiner, unscheinbarer Raum. Das Elternzimmer auf der
Intensivstation, wo Niklas lag. Ein Raum mit einem Tisch, einigen Sesseln,
einer bequemen Couch und einem vollen Bücherregal – und der Ort, wo meine
Träume und Hoffnungen zerstört werden! Was noch auf uns zukommen würde, wussten
wir nicht. In den nächsten Wochen, in denen wir Niklas auf der Intensivstation
besucht haben, habe ich das Lied „Fairytale gone bad“ ungezählte Male gehört.
Dank aller Radiosender, die mit diesem Hit unwissentlich jedes Mal Salz in
meine Wunden gestreut haben, wenn das Lied lief. Der Text sagt eigentlich aus,
das sich ein Paar trennt, und das alle Pläne für die Zukunft falsch sind. Wir
haben zum Glück immer zusammengehalten, aber dieser erste Satz des Liedes hat es
für uns leider auf den Punkt gebracht.
This is the end, you know,
Lady, the plans we had went all wrong
We ain't nothing but fight and shout and tears
Lady, the plans we had went all wrong
We ain't nothing but fight and shout and tears
Das ist das Ende,
das weißt du auch,
Mädchen, die Pläne, die wir hatten, sind alle gescheitert.
Wir bestehen aus nichts mehr außer aus Kampf, Geschrei und Tränen
Mädchen, die Pläne, die wir hatten, sind alle gescheitert.
Wir bestehen aus nichts mehr außer aus Kampf, Geschrei und Tränen
Diese Gefühl der Sicherheit, das
ich die ganze Zeit über hatte, war schlagartig weg. Es ist einem Gefühl von
Unsicherheit, Angst und Zorn gewichen. Es hätte mich doch warnen sollen, dass
ich mir so sicher war, dass nichts passieren wird.
Zu dieser Zeit war ich noch bei
einer Baufirma tätig. Das brachte es mit sich, das ich saisonbedingt arbeitslos
war. Ich habe Tanja mit Niklas nach Vogtareuth in ein Reha-Zentrum gebracht.
Ich hätte von meiner Firma aus noch bis Mai zu Hause bleiben können, doch mir
wäre die Decke auf den Kopf gefallen. So bald es möglich war, habe ich mich
wieder in die Arbeit gestürzt um auf
andere Gedanken zu kommen. Unter Tags hat das ja auch funktioniert, aber in der
Nacht bin ich oft wachgelegen, und habe überlegt was noch kommen wird, oder ob
wir damit überhaupt fertig werden.
Ich weiß nicht mehr welcher Tag
es war, wir sind mit unserem Firmenbus nach Hause unterwegs gewesen, als mich
Tanja in Tränen aufgelöst angerufen hat. Ein Augenarzt hat Niklas untersucht,
und ihr so im Gehen hingeschmissen, das Niklas so gut wie nichts sehen wird.
Ich bin an diesem Abend lange
allein gesessen und habe geweint. Im Gegensatz zu Tanja hatte ich jemand wo ich
hingehen konnte. Ich habe dann einen guten Freund angerufen, und gebeten, dass
ich vorbeikommen dürfte. Er hat ohne zu überlegen ja gesagt, und mir lange
zugehört. Das hat mir an diesem Abend sehr viel geholfen.
An den Wochenenden war ich jedes
Mal nach Bayern unterwegs. Nachdem es sich dort ja um eine Klinik handelte,
suchte ich mir ein Quartier. Im Vogtareuther Hof habe ich dann in den nächsten
Wochenenden meine Abende verbracht. Von der Reha an sich habe ich wenig bis gar
nichts mitbekommen. In einer normalen langen Woche, bin ich erst Samstag Mittag
in Vogtareuth gewesen, und die Therapien waren nur bis Freitag. Nur an einer
kurzen Woche hatte ich die Möglichkeit Niklas bei seinen Trainingseinheiten
zuzusehen. Den Rest musste Tanja alleine bewerkstelligen.
..........
Was seither geschah...
Niklas hat zugenommen und ist auch ein ganzes Stück
gewachsen. Mehr als DREI Kilo plus in einem Jahr. Nach unserem letzten
Kontrolltermin in der Sondenambulanz wurden wir eingebremst, das wir nicht mehr
so viel Nahrung zusätzlich sondieren sollen, weil er sonst zu pummelig
wird. Von einem Extrem in das Andere....
Das Gewicht ,das er zugenommen hat, ist ein wenig Fett (Er
hat endlich einen angedeuteten Bauch) und jede Menge Muskelmasse. Er ist
seither immer mobiler und kräftiger geworden. Er stützt sich mit seinen Armen
schon manchmal so hoch, das die Ellenbogen den Boden verlassen. Nicht etwa um
nachzusehen was leckeres auf dem Tisch steht, sondern wenn er den Sat-Receiver
und mich terrorisiert und kontrolliert, ob der Fernseher ein- oder
ausgeschaltet ist. Er hat sich die letzen Jahre mit atemberaubenden Tempo durch
das Haus gerollt und gekugelt, bis ihm endlich der Knopf aufgegangen ist, dass
man auch den direkten Weg nehmen kann ohne den halben Raum umrunden zu müssen.
Angefangen hat er beim Abendessen. Da Niklas das Abendessen von mir meistens
vor dem Fernseher bekommt, und ich so die Gelegenheit nütze um Nachrichten oder
Dokumentationen anzusehen, schaltet Niklas den Fernseher dauernd ein und aus.
Noch schlimmer ist es, wenn er den Sender verstellt. Letztens war er schon
soweit in das Menu vorgedrungen, dass er den Sendersuchlauf starten hätte
können. Da meist nichts interessantes läuft stört es auch nicht. Aber dann und
wann ist doch etwas im Programm, das ich mehr als nur Szenenweise sehen möchte.
Dann ziehe ich Niklas einen halben Meter weit zurück. Das verschafft mir ca.
eine Minute – bis Niklas wieder am Receiver ist. Vor ein paar Wochen hat er
sich aber nicht mehr gedreht, sondern hat in Bauchlage beide Ellenbogen nach
vorne geschoben hat sich mit einer gewaltigen Anstrengung nach vorne gezogen.
Dann hat er kurz innegehalten um nachzudenken was er gerade getan hat, grinste
und hat sich soweit nach vorgezogen bis der Fernseher in
Fingerspitzenreichweite war. Niklas gegen Papa 1:0! Wir waren unheimlich stolz
auf unseren großen Burschen! Und mittlerweile ist ihm ein Knopf richtig
aufgegangen. Niklas dreht zwar noch immer seine Runden um längere Strecken
(zwischen Hängesessel und Fernseher sind es knapp drei Meter) zu überwinden.
Den letzten Meter nimmt er aber schon sehr oft im direkten Vorwärtszug.
Letzten Sommer waren wir drei das erste Mal auf einem
Familiencamp. Eine Woche, in der wir mit anderen betroffenen Eltern gemeinsame
Zeit verbringen können. Ich muss allerdings erwähnen, dass ich der einzige Papa
war, der an diesem Camp teilgenommen hat. Väter machen sich bei solchen
Angeboten meistens rar. Für beide Seiten, Erwachsene wie Kinder gab es ein
Programm. Spielen, basteln und musizieren für die Kinder. Einzel- und
Gruppengespräche, Shiatsu, Malen, Meditieren und eine Entspannungseinheit für
uns Erwachsene. Wir sind die ganze Woche dort geblieben, und kamen in den
Genuss eines nicht isolierten Hauses im Hochsommer. Die Zimmer sind so gelegen,
das den ganzen Nachmittag die Sonne sich voll entfalten konnte, und es in der
Nacht in den Zimmern sehr heiß war. Wenn unsere Kleinen dann bettfertig waren,
kam es deshalb jeden Abend zu einer Elternrunde in der Spielecke am Gang. Es
hat so ein toller Austausch stattgefunden und wir haben viele liebenswerte
Menschen kennen gelernt. Am vorletzten Tag gab es dann ein Picknick im Park
unter riesengroßen Platanen die trotz des warmen Wetters genug Schatten
gespendet haben. Eine schöne Zeit für uns alle!
Im Sommer waren meine Eltern mit Niklas alleine für ein
paar Tage auf Urlaub – und wir hatten als Paar etwas Zeit für uns. Eine
fantastische Auszeit! Endlich Zeit um zu Hause einige anstehende Sachen zu
erledigen, ein paar Stunden für uns und vor allem hatte jeder von uns Zeit für
sich selbst. Als meine Eltern mit Niklas am Freitag vom Urlaub zurück kamen,
meinten sie, dass das Sondieren über den Button nicht funktioniert hat. Niklas
hat die Tage recht brav selbst gegessen und auch das Trinken war zumindest
halbwegs zufriedenstellend. Dennoch, das gehörte abgeklärt. Es war nicht
möglich, auch nicht mit viel Kraft, etwas durch den Button in den Magen zu
sondieren. Deshalb fuhren wir am nächsten Tag schon ins LKH. Wir wurden in der
Chirurgie aufgenommen und Niklas wurde von der gleichen Ärztin untersucht, die
ihm den Button gesetzt hatte. Nach einigen Tests und Versuchen stand fest,
Niklas bleibt mit Tanja in Graz, und es muss eine Gastroskopie gemacht werden
um nachzusehen warum nichts durchging. Niklas bekam einen Venenzugang für eine
Infusion. In rekordverdächtiger Zeit wurde eine Vene gefunden und die Nadel
gesetzt - Niklas hatte nicht einmal Zeit richtig zu protestieren. Wir kennen
auch ganz andere Blutabnahmen....
Tanja befürchtete zuerst, das sie unnötig das Wochenende
im LKH verbringen würde, da ja vor Montag eh nichts gemacht würde. Doch schon
am nächsten Tag, einem Sonntag, ging es zur Gastroskopie und nach knapp einer
Stunde wurde Niklas auch schon in sein Zimmer verlegt. Er war wie sonst auch
immer nach einer Narkose benommen und eine zeitlang sehr ruhig. Da diesmal aber
nichts geschnitten werden musste war er schon bald wieder so vergnügt wie
immer. Etwas später am Tag kam die behandelnde Ärztin und erklärte uns was das
Problem war. Die Magenwand von Niklas war verrutscht und hatte den Button
umwachsen. Es bedurfte nur eines kleinen Stoßes mit einem stumpfen Instrument,
und die Haut rutschte dorthin zurück wo sie hingehörte. Das war es was wir
gespürt hatten. Der Widerstand kam von der Magenwand, und irgendwann ist das
Loch soweit zugewachsen, dass gar nichts mehr ging. Meine Eltern hatten das
Pech, das es gerade mitten im Urlaub soweit war. Glücklicherweise ist es gut
ausgegangen – es hätte auch eine ordentliche Bauchfellentzündung werden können.
Bei uns ist also immer etwas los. Oft haben wir nicht
einmal Zeit zu verschnaufen. Manchmal gibt es auch ruhige Lebensphasen. Aber es
gibt immer etwas zu tun. Niklas bekommt jetzt einen Rollstuhl. Wir hoffen, er
schafft es so irgendwann, mobiler zu werden. Ringorthesen wurden auch schon
bestellt um seiner Spastik entgegen zu steuern. Wirklich Ruhe ist nie bei uns.
Was ich mir wünsche:
Ich wünsche mir, dass die Medizin
endlich die Wunder wirkt die Niklas braucht!
Ich wünsche mir, dass Niklas
laufen und tanzen kann!
Ich wünsche mir, dass er die
Sterne bewundern kann!
Ich wünsche mir, dass er immer so
gut gelaunt und glücklich ist wie jetzt!
(Adele Someone Like You)
Puhhh, ihr solltet ein eigenes - ganzes Buch schreiben!!!!
AntwortenLöschenEs ist rund. Keiner weiß was mal passieren wird und der Begriff "Guter Hoffnung" sein hat längst seine Bedeutung verloren. Der Spruch mit den richtigen Eltern die sich das Kind ausgesucht hat habe ich auch schon oft gehgört, was ein Käse. Als hätten die Kinder eine Wahl, oder wir Eltern. Im Prinzip könnten die Leute auch sagen: "Was hat Euer Kind doch ein Glück, dass ihr Euch darum kümmert und es nicht meins ist." Diese Sprüche kommen nämlich immer nur von Leuten, die selbst kein Kind mit Extraausstattung haben. Bei uns war es Schiksalsschlag, kein Zufall, es war ein Beweis der Statistik, dass ältere Mütter zu Kindern mit Gendefekten neigen. Punkt. ;-)
Ich bin froh, dass ihr Euch mit dem Blog in mein Leben geschrieben habt
Martina
Toll geschrieben. Mal schauen ob ich das Buch dann auftreiben kann wenn es fertig ist. Ich würde es dann auch gerne meiner Mama, als Mama eines schwer behinderten Kindes, zum lesen geben. Halte uns auf dem Laufenden :)
AntwortenLöschenEurer Geschichte von euch beiden zu hören - ein toller Ansatz. So unterschiedlich! Aber im Grunde ganz, ganz gleich. So wie alle Eltern seid ihr fürchterlich stolz auf euer Kind und glücklich, dass es um euch ist. Nicht immer, eh klar - eben im Großen und Ganzen. So wie alle anderen Eltern auch.
AntwortenLöschen