alles andere als perfekt

"Ihr habt das alles so gut umgesetzt - alles ist so perfekt" .... so der Wortlaut in der Schule an mich (die Niklas-Mama) - bevor wir uns für 14 Tage verabschiedeten. Eigentlich ein ganz nettes Kompliment. Und dennoch beschäftigt mich das jetzt. Wirken wir wirklich so auf unbekannte/fremde Personen? Gut organisiert? Nahezu perfekt? Das erschreckt mich - weil´s ein schiefes Bild ist. Und ich mag keine falschen Bilder.
 
Wir sind nicht perfekt. Vielleicht scheint es so "leicht" weil ich immer versuche, die Sonnenseite zu sehen. Vielleicht, weil der Niklas ja wirklich ein zufriedenes Kerlchen ist. 
 
Aber bei uns zu Hause herrscht oft das pure Chaos. Michael werkelt nahezu ständig in seiner Freizeit an unserem alten Bauernhäuschen oder dem riesigen Garten. Das Meiste macht er alleine - und das ziemlich gut. Und ich versuche neben beiden Kindern noch irgendwie den Haushalt zu meistern und den ganzen Bürokratiekram, der mit der Behinderung von Niklas verbunden ist, zu erledigen. Oftmals ein schwieriges Unterfangen. Weil, während Anika mittlerweile alleine frühstückt wird Niklas noch immer gefüttert. Unter 20 Minuten geht da gar nichts. Eine lange Zeit, die sich die kleine Schwester damit vertreibt den Vorratsschrank auszuräumen oder die zusammengelegte Wäsche im Wäschekorb umsortiert.
 
Unser Alltag hat sich mit Niklas schon richtig gut eingespielt und jetzt stellt diese kleine, zuckersüße Hexe alles auf den Kopf. Ja, sie tut uns allen gut!! Aber die neue Familienkonstellation ist schon eine ordentliche Herausforderung. Eigentlich schreit der Gartenweg nach Erlösung von dem vielen Unkraut, im Haus ist ständig ein Spielzeug-Hindernis-Parcour aufgebaut, der Rasen gehört schon seit Tagen gemäht und die Werkstatt.... ja, es scheint, da hat eine Bombe eingeschlagen. Ich konzentriere mich auf Basisreinigung und Schadensbegrenzung. Der Niklas Papa wird öfters mal - kaum von der Arbeit heimgekommen - angemotschkert, weil mein Tag einfach schon zu viel war. Und obwohl ich unglaublich dankbar darüber bin, dass mir meine Mama und die Schwiegermama so oft helfen, bleibt doch der bittere Beigeschmack, dass ich das alles alleine nicht richtig auf die Reihe krieg....
 
Zugegeben: wir lassen auch mal einfach alles liegen und machen einen Tagesausflug. Treffen uns mit unsren Lieben oder netten Bekannten oder verbringen die Wochenenden der Reha gemeinsam in der Steiermark. Ich habe durch Niklas gelernt, dass das Leben einfach passiert. Es fragt nicht. Mein Unkraut wartet ganz sicher auf mich, während wir uns einen schönen Tag machen :)
 
Ich zerdenke fast alles. Eine Eigenschaft, die mir vieles nicht leicht macht. Beim Suchen von Fördermöglichkeiten aber einen großen Vorteil zeigt. Es macht mir Spaß für Niklas ein Bilderbuch oder ein Schultagebuch zu gestalten. Ich bespreche Taster und bin immer auf der Suche nach netten Apps für unsren kleinen Mann. Vieles nimmt er an - manches scheint sinnlos. Aber Niklas muss auch wie ein gesundes Kind zuerst Üben um etwas zu können.
 
Vielleicht wirkt gerade dieses Durchdachte, Organisierte fehlerlos. Vielleicht sollte ich auch Bilder oder Videos vom Grantel-Niklas zeigen - und glaubt mir: davon würd´s viele geben. Wie bei jedem anderen Kind auch.
 
Also alles andere als perfekt unsere Familie. Muss sie auch nicht sein! Denn in Wirklichkeit zählt doch unterm Strich was ganz anderes.....  
 

Kommentare

  1. Perfekt ist langweilig.
    Aber eigentlich gibt es perfekt gar nicht.
    Nur Menschen die gerne so erscheinen möchten.
    Ich liebe das echte Leben mit Staubflusen unterm Sofa (und leider nicht nur dort) und Spielzeug auf das man bei jedem unbedachten Schritt tritt.
    Das ist Leben!!!!
    LG
    Martina

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  2. hallo liebe Niklas-Mama!
    ich kann mich gut in dich hineinversetzen ...
    fühl dich einfach mal nur feste umärmelt!!
    Fester Drücker
    die Isabella-Mama

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  3. Liebe Tanja
    so ehrlich ... so echt!
    Es ist doch sowieso schon ganz, ganz viel was Ihr schafft und macht. Aber stimmt schon, auch ich kenne das. Wir vestecken viel zu viel all das was dahintersteckt. Es ist schwer, braucht viel Zeitaufwand mit einem behinderten Kind zu leben.
    Dann all das Zusätzliche ... oft unglaublich. Ein Beispiel? Robert geht ja nun in die neue Schule. Ich habe einfach so mal aufgeschrieben wie viele Termine ich schon hatte. Wieviele Telefonate. Ich denk mal alles bekomm ich gar nicht mehr zusammen. 17 !! Termine mit und ohne Robert. 39 Telefonate ... nur damit am ersten Tag alles PERFEKT passt. Hat es dann doch nicht .... stell Dir vor. Die Schule hat ihn zu einem anderen Robert gemacht ... in seinem Schülerbogen war ab Seite 2 alles richtig, aber vorne auf dem Deckel... anderer Name, anderes Alter, andere Diagnose! Ich wollte ihn gestern nur kurz dorthin bringen, damit er nicht am ersten Tag mit dem Bus fahren muss. Dann war ich fast 2 Stunden dort. Als ich endlich nach Hause kam waren drei entgangene Anrufe ... auch alles wegen und um Robert.
    Susanne? Sie ging allein ausser Haus, kam allein wieder, unerwartet früh. "Das hab ich Dir aber gesagt, dass heute um 11 Uhr Schluss ist!"
    So sieht perfekt also aus. Doch ins Blog schreib ich es eh auch nicht. Warum eigentlich nicht? Du hast Recht, wir sollten auch diese Seiten erwähnen, sie sind sehr aufwendig, anstrengend ... mit den gesunden Kindern haben wir den Aufwand gar nicht.
    Ich bin ja auch der Meinung, dass Du mit Niklas viel, viel mehr Stärke, Kraft, Zeit brauchst als ich mit Robert. Das ist bewundernswert. Ich kenn nun schon das 3.Kind mit ähnlicher Behinderung wie Niklas, dass nun unter der Woche im Heim lebt, weil die Eltern es einfach nicht mehr geschafft haben. Eine Mama "wollte nicht mehr dieses Leben haben", das hat mich traurig gemacht, weil sie eigentlich ganz nett ist. Zu wenig Hilfe? Zu jung? Sie ist erst 30 Jahr alt, das Mädel ist nun 12 Jahre. Nur noch alle 2 Wochen am Wochenende zu Haus ...
    Lass das Unkraut wachsen. Irgendwann passt das auch wieder und es wird entfernt. Nimm die freie Zeit für Dich und auch für Euch. Das gibt die Kraft. Das tut euch gut.
    Ja, und lebt genauso so intesiv mit Eurem Mädel. Das ist schon manchmal die Gefahr, wenn die gesunden Kinder älter werden. Sie laufen so mit ... sagte mir mal ein Therapeut. Wir haben am Sonntag nur für Susanne eine kl.Klettertour in den Bergen gemacht, weil sie auch endlich durch diese Klamm laufen wollte. Mit Robert geht das nicht. Sie war so glücklich über den Tag. Auch wenn wir ein kl.schlechtes Gewissen hatten, es hat uns gut getan. Beim Mittagessen weit oben auf der Hütte sagte Michael: "Ich erschreck ständig wenn ein anderes Kind schreit!" Wir können gar nimmer richtig abschalten ... alle Sinne sind beim Aufpassen auf das behinderte Kind. Sogar wenn es gar nicht dabei ist!
    So, das war nun viel
    Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende. Ganz liebe Grüsse
    Elisabeth

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  4. Liebe Tanja, ihr lieben! Ich bin dankbar euch erleben zu dürfen und auch oft sehr glücklich euer echtes leben zu sehen. Das macht euch aus. Jedes lachende Bild von euch ist wunderschön, doch ich bin mir bewußt das es auch diese anderen Momente gibt. Glaub mir auch das sieht man an dem lachenden Bildern. Nur wer das leben so kompromisslos annimmt wie ihr, kann so aus dem Herzen Strahlen. Ganz ehrlich für mich ist es oft eine Ermahnung, diesen Alltag, den Kummer, die sorgen auf die Seite zu schieben und mich und mein leben, so wie es ist anzunehmen. Danke dafür!!!!! Bitte umarme deine lieben heute einmal mit einem Lächeln von mir und lass die Natur einfach wachsen, Unkraut stört manchmal das Auge, doch die liebe deiner Familie macht das tausendmal wett. Viel liebe eure cordula

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  5. Liebe Niklas-Mama,
    liebe Elisabeth und Ihr alle, die Ihr ein nicht durchschnittliches Mutterdasein lebt: Ihr braucht nicht perfekt zu sein. Ihr leistet so unendlich viel, da kann, ja muss manchmal auch so etwas wie Schwäche auftauchen dürfen - immer gefordert zu werden, fast ohne Unterbrechungen: es ist bewundernswert, wie Ihr das doch stets meistert.
    Ganz großartig finde ich, daß Ihr zu dem steht, was Euer Leben oft so schwierig macht. Ihr spielt keine heile Welt vor, Ihr seid öfter auch müde und geschafft; und ja, dann tut sogar motschkern gut, wenn gefühlt das Ende der Kräfte droht.
    Aber es ist die Liebe, die Eure Kinder durch Euch erfahren, die sie stärkt, und es ist der Rest der Familie, der durch Euch starke Frauen das ist bzw. wurde, was ist und gut tut: ein Hort der Geborgenheit, wo durchaus Unperfektes auch ungehindert Platz findet; Alltagsleben der ganz besonderen Art eben, für viele andere Personen wohl meist nicht wirklich vorstellbar.
    Ich bewundere Euch sehr und danke für Eure Offenheit!


    Viele liebe Grüße

    Elena

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  6. Gibt es denn überhaupt soetwas wie "perfekt"?!
    So wie ich das interpretiere, wollte die Person damit sagen: "Toll, wie ihr das managt, wie ihr euch kümmert, wie ihr für Niklas immer versucht, das Beste rauszuholen, wie ihr dem anspruchsvollen Alltag standhaltet und es trotz allem noch schafft euch die Haare zu kämmen ;)"
    Einfacher gesagt: Ihr seid tolle Eltern!

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  7. Hey du,
    ja es erscheint oft als ob dus mit links machst- aber dass ungalublich viel auf die lastet und das alles viel Arbeit bedeutet, das merkt man schon beim zweiten Hinsehen/Reinversetzen. Und die Schule meints sicherlich als Kompliment.

    Dieses Gefühl, dass mans allein nicht packt, das habe ich seit Wochen- es nervt mich. Dabei habe ich nichtmal einen Niklas. Mich bringen gerade 4 normale Kinder bei denen eins nachts nicht schläft um die Ecke. Amelie ist sooft wach und tags schläft sie dnan plötzlich 3-4 Stunden am Stück- wovon ich leider 0 habe- ach doch- ich schaff die Hausarbeit. Aber es ist momentan eine vertrackte Tretmühle und ich bin extrem verkopft und kann Dinge schlecht zulassen und gelassen sehen.

    ich wünsch euch alles Gute für die Reha!

    liebe Grüße
    Katharina

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  8. Danke für Eure Offenheit ... Ihr liebe Tanja, und auch Deine (Blogger-?)Freundinnen seid so super. Ich hab manchmal das Gefühl, dass Ihr es gar nicht ahnt wieviel Ihr Euren Kindern gebt. Wie unendlich Eure Kraft ist.
    Es ist so gar nicht selbstverständlich, ich bin noch von der Zeit wo die Kinder in ein Heim gegeben wurden. Sehr schnell, ohne lang nachzudenken. Jahrelang habe ich dort gearbeitet, so manches Kind hätte ich am liebsten ab und zu nach Haus mitgenommen. Das waren unvorstellbare Schicksale.
    Ich finde es sehr gut, dass, wie ich bei Elisabeth des öftern gelesen habe, die Kurzzeitpflege in Anspruch genommen wird. Oder Tanja, dass Du loslassen kannst und Oma und Opa zur Hilfe dabeisein lässt.
    Ich wünsche Euch allen sehr viel Kraft, ein miteinander mit Euren Partner, dass es gut bleibt. Denn der Weg den das Leben Euch aufgelegt hat ist ein Schwerer. Seid nicht so kritisch mit Euch. Das soll und darf sein, dass Unkraut wächst, dass Wäsche warten muss, und so vieles mehr.
    Eure Kinder verzeihen Euch so und so alles, da bin ich mir sicher. Denn die Liebe und das Dabeisein-dürfen, dass erkennen sie. Das ist das was sie brauchen. Eltern, Menschen die sie lieben, die auf sie schauen
    Kraft und Auszeiten, Energie und Liebe für Euch wünscht von weit weg
    die Marianne

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